Mittwoch, 15. April 2009

Koma-Trinker zahlen ab der Diagnose


Für die Untersuchung einer "Alk-Leiche" muss noch die Krankenkasse aufkommen. Die Spitalsnacht zur Ausnüchterung hat aber der Patient zu begleichen. Beim Versicherungsschutz gibt es Grenzen.


Wien.

Alles im Leben hat Grenzen, auch die Leistungspflicht der Sozialversicherung. Erst kürzlich musste der Oberste Gerichtshof klären, wo bei einer jugendlichen Koma-Trinkerin die Grenzen liegen: Die 17-Jährige war mit 1,5 Promille von der Rettung ins Spital eingeliefert worden und blieb dort bis zur Ausnüchterung am Morgen. Zur Beschleunigung bekam die junge Frau eine Infusion.


Die Wiener Gebietskrankenkasse weigerte sich, die Kosten zu tragen. Der Vater des Mädchens zog vor Gericht. Nun ist im Fall des Mädchens zwar im Nachhinein klar, dass alle Kosten wegen ihrer Alkoholisierung angefallen sind. Alkohol trinken ist keine Krankheit. Und nur bei Krankheiten muss die Sozialversicherung einspringen. Der OGH (10 ObS 99/08v) erklärte aber, dass man auf eine Prüfung im Vorhinein abstellen muss. Heißt im Klartext: Der Einsatz der Rettung und die Laborkosten für die Diagnose – dem Mädchen wurde zur Abklärung des Gesundheitszustandes Blut abgenommen – trägt die Sozialversicherung. Ab dem Zeitpunkt, ab dem klar war, dass das Mädchen nichts anderes als alkoholisiert war, hat aber ihr Vater die Kosten zu tragen. Er muss also für die Anstaltspflege aufkommen.

Franz Marhold, Sozialrechts-Professor an der Uni Graz und Partner bei DLA Piper Weiss-Tessbach Rechtsanwälte, hält die Entscheidung für richtig. Er verweist im Gespräch mit der „Presse“ darauf, dass eine Krankenbehandlung immer kostenlos ist, sofern der Patient entsprechende Symptome aufweist – auch wenn sich im Nachhinein herausstellt, dass der Patient gar nicht krank war. Wenn jemand herumliege, dann könne diese Person auch ein anderes körperliches Problem als eine Alkoholisierung haben. Denn ganz generell sei eine Untersuchung kostenlos, wenn jemand mit Verdacht auf eine bestimmte Krankheit zum Arzt komme. Auch wenn sich dann herausstellen sollte, dass der Patient die Krankheit doch nicht hat.

Doch wo liegen nun die Grenzen bei der sozialversicherungsrechtlichen Leistung? Der Begriff der Krankheit ist gesetzlich als „regelwidriger Körper- oder Geisteszustand“ definiert. Liegt dieser vor, muss die Krankenkasse zahlen, sofern der Versicherte sich nicht vorsätzlich die Krankheit zugefügt hat. Ein Vorsatz wird aber nur in Extremfällen vorliegen, etwa wenn sich jemand absichtlich die Hand abhackt. Überdies zahlt die Versicherung nicht, wenn die Krankheit aus einer Straftat resultiert, für die man zu einer mehr als einjährigen Haftstrafe verurteilt wird. Beim Banküberfall sollte man sich deswegen besser nicht verletzen. Risikosportarten unterliegen hingegen sehr wohl dem Versicherungsschutz, selbst dann, wenn jemand grob fahrlässig handelt, also etwa trotz Lawinengefahr Helikopter-Skiing betreibt.

Wo liegt die Bananenschale?

Haariger wird es bei der Unfallversicherung: Sie zahlt (etwa für Rehabilitationsmaßnahmen oder für eine Rente) nur dann, wenn der Unfall auch im „örtlichen, zeitlichen und ursächlichen“ Zusammenhang“ mit der Arbeit geschieht. Der Zusammenhang ist aber relativ schnell gegeben: In der Judikatur gab es den Fall von Lehrlingen, die einander mit Nägeln unter Zuhilfenahme von Gummiringen beschossen, erzählt Marhold. Hier wurde ein Arbeitsunfall anerkannt, zumal der Betroffene nicht der Initiator der Aktion war.

Die Abgrenzung zum Arbeitsunfall treibt aber mitunter kuriose Blüten. So ist man am Weg zur und von der Arbeit versichert, im eigenen Haus aber nicht. Wenn man also am Weg nach Hause vor der Haustür auf einer Bananenschale ausrutscht, ist man unfallversichert. Liegt die Bananenschale auf der anderen Seite der Tür und man rutscht im Inneren aus, dann liegt kein Arbeitsunfall vor. Geschützt ist man übrigens auch auf dem Weg zur Bank, um das Gehalt abzuheben, aber nur beim ersten Mal im Monat. Wer vielleicht doch nicht alles auf einmal abheben möchte, ist beim zweiten Bankbesuch ungeschützt. Auch beim ersten Bankbesuch ist man übrigens nur auf dem Weg geschützt, nicht aber in der Bankfiliale selbst. Passiert dort etwas, zahlt die Unfallversicherung nicht, man kann nur die Bank belangen.
Und nach Dienstschluss sollte man nicht zu lange mit Kollegen feiern. Laut Judikatur darf man mit Kollegen noch etwa zwei Stunden gemütlich zusammensitzen, bevor man nach Hause fährt. Dauert es länger, ist man auf dem Heimweg nicht unfallversichert.

Turbulenter Betriebsausflug

Heikel wird es auch bei Betriebsausflügen. Allzu skurrile Dinge sind nämlich nicht versichert, weil dann der Zusammenhang zur Arbeit fehlt. Bei einem Skirennen mitfahren ist aber jedenfalls drin. Die Judikatur hat im Vorjahr auch noch eine Verletzung bei einem Canyoning-Unfall als Betriebsunfall anerkannt, weil es für Anfänger konzipiert war. Bei einem tödlichen Rafting-Unfall hingegen hatte der OGH keinen Versicherungsschutz erblickt.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.04.2009)



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